Psychologisch-Psychotherapeutische Praxis Verena Weißenböck

„Is heute wieder Malen?“
Erste Erfahrungen aus einer Kreativgruppe für Kinder mit familiären Gewalterfahrungen

2005

Strukturelle Gewalt, die sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich ungleichen Lebenschancen äußert, steht in einem dialektischen Verhältnis zu personeller Gewalt. Beide Formen von Gewalt bedingen einander gegenseitig.

In unserem System ist die Dunkelziffer im Bereich der privaten/familiären Gewalt sehr hoch. Nach Schätzungen wird jede fünfte in einer Paarbeziehung lebende Frau zum Opfer von Gewalt (Bernard/Schlaffer 1991). Wenn auch nur einige der betroffenen Frauen Kinder haben, können wir von einer großen Anzahl Kinder und Jugendlicher ausgehen, die entweder Zeugin/Zeuge von Gewalt gegen ihre Mutter geworden oder auch selbst von physischer, sexueller oder psychischer Gewalt betroffen sind.

Ein Frauenhaus bietet misshandelten und bedrohten Frauen sowie ihren Kindern Wohnmöglichkeit (bis zu einem Jahr) und Beratung in Krisensituationen. Die Frau wird bei der Regelung ihrer Angelegenheiten von einer persönlichen Betreuerin unterstützt, lebt ansonsten jedoch selbständig und ist weiterhin für sich und ihre Kinder verantwortlich. Die Kinder bzw. Jugendlichen sowie deren Mütter werden zusätzlich von pädagogisch, psychologisch und/oder therapeutisch ausgebildeten Fachfrauen beraten und begleitet.

Situation der Kinder und Jugendlichen

Die Kinder und Jugendlichen, die ich kennen lerne, stehen alle in einer krisenhaften Lebenssituation. Sie kommen aus einer gewaltvollen und schwer erträglichen Lebenssituation in die Kriseneinrichtung, müssen sich nun auf eine neue Umgebung einstellen und zum Teil aufgrund von akuten Gefahrensituationen alle Kontakte (zur „alten“, gewohnten Schule etc.) zumindest kurzzeitig abbrechen. Auf Beginn und Dauer des Aufenthalts haben sie wenig Einfluss. Aufgrund ihrer eigenen Belastungen ist es für Mütter meist schwierig, ihre Kinder in dieser Situation gut zu unterstützen.

Meine Arbeit besteht zum einen Teil in einer kontinuierlichen Arbeit mit den Müttern hinsichtlich Beratung und praktischer Unterstützung bei Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Kind. Zum anderen arbeite ich mit den Kindern in Form von regelmäßigen Einzel- und Gruppeneinheiten. Dabei steht die Stützung des Kindes bei der Verarbeitung des Erlebten im Mittelpunkt.

Das Konzept der Kreativgruppe

Der Ausgangspunkt war die Idee, zusätzlich zu einer pädagogisch orientierten Spielgruppe, für die wöchentlich eine Kindergärtnerin ins Haus kommt, eine an psychologisch-therapeutischen Gesichtspunkten orientierte Gruppe anzubieten. In dieser Gruppe sollte es den Kindern ermöglicht werden, gemeinsam mit anderen Kindern, die trotz aller Unterschiede doch ähnliches erlebt haben, in der Auseinandersetzung mit kreativen Materialien selbst tätig zu werden, sich auszudrücken.

Durch Malen bringen Kinder Erlebtes und ihre Gefühle oft mehr als durch Worte zum Ausdruck. Besonders wenn die Sprache zu wenig differenziert ist, um emotionale Inhalte mitteilen zu können, oder wenn Kinder sich mancher Gefühle nicht bewusst sind und sie aus diesem Grund nicht mitteilen können, stellt kreatives Tun ein wichtiges Mittel zur (symbolischen) Kommunikation dar. Die Kinder können ihre Traumatisiertheit zum Ausdruck bringen. Ansonsten abgewehrte Gefühle werden anfangs versteckt, dann deutlicher sichtbar dargestellt, Unsagbares wird auf einer vorsprachlichen Ebene kommuniziert. Es verliert durch den Vorgang der Darstellung etwas von seiner Übermächtigkeit.

Ein weiterer unterstützender Aspekt der Aktivität liegt im Gefühl, selbst etwas zur Bewältigung der Situation beitragen zu können. Durch kreatives Tun wird das schöpferische Potential jedes einzelnen Kindes für es selbst und andere sichtbar. Ein Stück weit können Autonomie und Sicherheit erlebt werden. Anerkennung und Zufriedenheit mit dem eigenen Werk vermitteln ein positives Selbstbild und tragen so zu einer positiven Identität bei.

In Übereinstimmung mit Erhard (1999) erscheint mir der Ausdruck von Wertschätzung des Bildes, der sich auf das Kind erstreckt, wichtiger als das vollständige Verstehen des Bildes. Unerklärliches kann Hinweise auf Belastungen, die das Kind noch nicht deutlicher mitteilen kann, geben. Deutungen, die das Kind irritieren und verunsichern können, schaden der Kommunikation (Erhard, 1999).

Die zusätzlich zu den Einzelstunden angebotene, psychologisch orientierte Kreativgruppe basiert auf der Überzeugung, dass die Arbeit in Gruppen die gesunde Entwicklung der Kinder auf spezifische Weise unterstützen kann.

Kindern, die in belastenden Lebensumständen groß werden, fällt es aus vielerlei Gründen (Scham etc.) häufig schwer, mit anderen über ihre Erlebnisse zu kommunizieren (Geldard, 2003). Gerade für sie ist das Gefühl der Zugehörigkeit wertvoll, um das Erlebnis der Stigmatisierung zu überwinden. Zu erleben, dass andere Kinder ähnliche Erfahrungen gemacht haben, verbindet. Gleichzeitig eröffnet die Gruppensituation dem einzelnen Kind die Möglichkeit, den Umgang der jeweils anderen Kinder mit bestimmten Themen oder Situationen zu beobachten und gegebenenfalls weitere Schlüsse für das eigene Handeln daraus zu ziehen. Wenn die Gruppensituation insgesamt als beschützend erlebt wird, wird Probehandeln möglich. Mir als Psychologin ermöglicht das Gruppensetting mehr Informationen bezüglich des Sozialverhaltens des einzelnen Kindes zu erhalten, sowie bei schwierigen Situationen innerhalb der Kindergruppe direkt einzugreifen. Durch das Gefühl der Zugehörigkeit können die Kinder positive Wertungen gegenüber der eigenen Person und anderen entwickeln, die die Fähigkeit zur Bearbeitung persönlicher Probleme steigern. Weiters gilt die Gruppe als hilfreich für Kinder, die gegen eine so enge Beziehung zu Erwachsenen, wie sie in der Einzelarbeit entsteht, große Widerstände zeigen (Geldard, 2003).

Erfahrungen in der Durchführung

Mit diesen konzeptuellen Überlegungen im Hintergrund startete ich im Februar 2004 eine Kreativgruppe für Kinder. Da die Aufenthaltsdauer der Kinder schwer einschätzbar ist, arbeite ich in offenen Gruppen. Die Termine für die zwei Altersgruppen (3-7 Jahre, 8-13 Jahre) sind regelmäßig an zwei Nachmittagen pro Woche und aus den Anschlägen ersichtlich. Da einige Kinder nur abends bzw. an Wochenenden im Haus sind, reduziert sich so die Zahl der möglichen GruppenteilnehmerInnen. Bisher war es dadurch jedem nachmittags anwesenden Kind möglich, eine der Kreativgruppen zu besuchen. Neue Kinder bzw. deren Mütter werden von mir persönlich informiert und eingeladen. Sobald mehrere neue Frauen mit Kindern eingezogen sind, stelle ich die Kreativgruppe zusätzlich in einer der regelmäßig stattfindenden Mütterrunden vor. Die Gruppe umfasst jeweils maximal fünf Kinder und dauert je nach Alter und Aufmerksamkeitsdauer/Verfassung der Kinder bis zu 90 min. Viele verschiedene Materialien ermöglichen es jedem Kind, die eigenen Vorlieben und die bevorzugte Form der Äußerung zu entwickeln.

Die Kinder waren zu Beginn von der Idee „malen, kleben, formen etc.“ nicht begeistert – insbesondere die älteren Burschen waren desinteressiert. Die Kinder schlugen einen Malwettbewerb, bei dem sie Preise gewinnen konnten, vor. Über die Erfindung so vieler Preiskategorien („das bunteste Bild“, „das größte Bild“ etc.) wie anwesender Kinder konnte ich den Schwerpunkt vom Wettbewerb auf das Tätigsein verlagern. Ich konnte die Kinder dabei vom Spaß und der Sinnhaftigkeit einer wöchentlichen Kreativgruppe überzeugen.

Nach einem gelungenen Einstieg erwies es sich als schwierig, eine Struktur zu schaffen, innerhalb derer die in der Gruppe anwesenden Kinder geschützt und doch frei tätig werden können. Vielen Kindern fällt es schwer, Grenzen zu akzeptieren. Immer wieder wurde es notwendig, den Raum in Absprache mit den anwesenden Kindern abzusperren, um Anzahl der Störungen/Provokationen durch die nicht teilnehmenden Kinder zu verringern. Gleichzeitig wird immer wieder deutlich, wie wichtig Ordnung, Regeln und Regelmäßigkeit für die Kinder sind, um sich sicher zu fühlen, sich selbst innerlich ordnen und in der Folge zu sich finden zu können. Die Kinder sind sehr sensibel bzgl. möglicher Ungerechtigkeiten und quittieren Unterbrechungen der Routine z.B. durch Ferien mit Nicht-Erscheinen zu den folgenden Terminen. Sie benötigen eine sehr nachgehende und flexible Arbeitsweise, die ihre besonderen Bedürfnisse und Verwundungen berücksichtigt. Im Vertrauen darauf, dass jedes Kind, das für sie/ihn Wichtige zum passenden Zeitpunkt darstellen wird, und mit dem Wissen, wie sehr die Kinder durch die häusliche Gewaltsituation bisher fremdbestimmt waren, versuche ich einen Mittelweg zwischen Strukturierung, die Entlastung und Schutz gegen Übergriffe bietet, und Freiraum, in dem vieles möglich wird, zu finden. Ich stellte bisher keine Themen, schließe dies aber nicht prinzipiell aus.

Innerhalb der Gruppe agiere ich je nach Situation unterschiedlich. Ich bin mit einem oder mehreren Kindern gemeinsam tätig sein, male manchmal ein eigenes Bild, das sich auf ein bestimmtes Kind oder eine Situation bezieht und trete so in Kontakt oder versuche, einen Sachverhalt auf diese Weise zu verdeutlichen, ich wechsle zwischen Gesprächsführung und Beobachtung. Die Kinder schätzen es, wenn auch ich tätig bin. Ein Machtgefälle zwischen mir als Beobachterin, die sich selbst, indem sie nicht tätig wird, keiner Kritik aussetzt, und den Kindern, die sich aufgrund ihrer Erfahrungen leicht als machtloses, kritisierbares Subjekt empfinden, wird dadurch verringert. Möglicherweise senkt dies die kindliche Hemmschwelle und erleichtert, kreativ tätig zu werden. Die Kinder nutzen die Gruppe, um einander zum gestalterischen Ausdruck und zur Auseinandersetzung zu motivieren.

Bereits in der kurzen Zeit des Bestehens der Kreativgruppe haben sich wiederkehrende Themen in den Werken und Gesprächen gezeigt. Im Verlauf wird sichtbar, dass die meisten Kinder zu Beginn sehr harmonische, gegenständliche Bilder malen. Gehemmte Kinder bevorzugen auch in diesem Kontext anfangs Betätigungen, die vergleichsweise wenig gestalterischen Freiraum ermöglichen. In der Weiterentwicklung der Gruppe und in einer schützenden Atmosphäre öffnen sich die Kinder und die dargestellten Inhalte wandeln sich. Der Umgang mit Aggressionen und Wut wird in den Werken häufig thematisiert und nimmt auch im Sozialkontakt innerhalb der Gruppe breiten Raum ein. Ideen über den Umgang mit „bösen Menschen“, die zwischen wütenden Rachephantasien und realitätsbezogenen Selbstschutzmaßnahmen schwanken, sind oft Thema, ebenso Wunschphantasien und Bilder, in denen es um Flucht und Rettung geht.


Abb. 1

Abb. 2

Abbildung 1: Junge, 7;7 Jahre, seit 5 Monaten im Frauenhaus, 8. Kreativgruppe. „Die Bombe zerstört das Haus und tötet alle (spielt die Explosion einige Male voller Emotionen nach). Sie könnte aber auch ein Feuerwerk sein.“

Abbildung 2: Junge, 10;8 Jahre, seit 4,5 Monaten im Frauenhaus, 3. Kreativgruppe. „Ein Mann am Schiff, der kämpft gegen die Bösen. Er ist mit einer Schnur mit dem Schiff verbunden. Das Schiff hat eine Kanone und ein gutes Rettungsboot.“

Wie zu erwarten verändert jedes neu hinzukommende Kind die Gruppe. Es hat sich gezeigt, dass der Besuch der Kreativgruppe den „Neuen“ das Integrieren in die bereits bestehende Kindergruppe in der Krisneeinrichtung erleichtert. Innerhalb der Gruppe können problematische Umgangsformen wie z.B. Rassismus der Kinder untereinander aufgegriffen werden. Der Aggressionspegel unter den Kindern scheint in den letzen Monaten insgesamt zu sinken, wozu das Angebot der Kreativgruppe nach meiner Ansicht viel beigetragen hat. Unter Kindern, die schon längere Zeit hier leben, zeigen sich Tendenzen zu gemeinsamen Bildern. Das vorsichtige Aufnehmen einer freundschaftlichen Beziehung der Kinder, in der der bisherige gewaltvolle Lebenskontext vielleicht zum ersten Mal kein stigmatisierendes Geheimnis darstellt, berührt mich immer wieder.

Resümee und Ausblick

Mir ist bewusst, dass eine offene Gruppe in dieser Form ein sehr niederschwelliges Angebot darstellt. Trotzdem konnten bisher nicht alle Kinder, denen eine Teilnahme aus meiner Sicht gut tun würde, erreicht werden. Aus den anwesenden Kindern haben sich Gruppen von Kindern, die das Angebot sehr gut nützen können, herauskristallisiert, während andere Kinder kaum teilnehmen. Die Kinder, die in den Gruppen wenig präsent sind, sind unter anderem jene, die häufig außer Haus sind, deren Mütter ich vom positiven Sinn der Kreativgruppe (noch) nicht überzeugen konnte und Kinder, die Kontakt zu Erwachsenen auch in weniger engem Rahmen, nämlich innerhalb der Kindergruppe, meiden. Die Frage der Erreichbarkeit der Kinder wird mich sicherlich weiterhin beschäftigen. Gleichzeitig gilt es mit zu bedenken, dass bei einer TeilnehmerInnenhöchstzahl von fünf Kindern je Gruppe, mehr potentielle TeilnehmerInnen auch mehr Kreativgruppen pro Woche bedeuten.

Ich werde auch in der Zukunft am theoretischen Konzept und dessen Umsetzung in die Praxis arbeiten. Ich werde weiterhin versuchen, die Kreativgruppe zwischen den Bedürfnissen der Kinder, den strukturellen Notwendigkeiten des Betriebs und meinen Ressourcen ausgewogen zu platzieren. Und ich hoffe, dass mir diese Tätigkeit auch in Zukunft noch genauso viel Freude bereiten wird wie jetzt.

Literatur:

Bernard, C. & Schlaffer, E. (1991). Gewalt in der Familie. Wien: Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie.

Erhard, R. (1999). Malen – Eine andere Art von Kommunikation. In Erhard, R. & Tatzer, E. (Hrsg.). Bilder Wunder Kinder. Wien: Krammer.

Fröschl, E. & Löw, S. (1994). Gegen Gewalt an Frauen handeln. Wien: Bundeskanzleramt, Bundesministerin für Frauenangelegenheiten.

Fröschl, E. & Löw, S. (1994). Gegen Gewalt an Kindern handeln. Wien: Bundeskanzleramt, Bundesministerin für Frauenangelegenheiten.

Geldard, K. & Geldard, D. (2003). Helfende Gruppen. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz.

Ringel, E. & Rosenmayer, L. (1992). Ursachen und Folgen von Gewaltanwendung gegenüber Frauen und Kindern. Wien: Projektbericht.

Rubin, J.A. (1993). Kunsttherapie als Kindertherapie. Karlsruhe: Gerardi.


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